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Mikromobilität auf Geh- und Radwegen (MMoNK)

Nutzungskonflikte und verkehrliche Wirkungen
Projektzeitraum

1.9.2020 - 1.3.2023

Land

Bund bzw. bundesweit

Stand der Information

31.1.2023

Das Projekt untersucht die verkehrlichen Wirkungen und Nutzungskonflikte von E-Tretrollern im Straßenverkehr. Eine Broschüre von Difu und DLR gibt Empfehlungen zur Steuerung von Mikromobilität in Kommunen.

An der Straßenseite wurden neun E-Tretroller verschiedener Hersteller abgestellt.
Abstellen von E-Tretrollern in Paris

Mit der Zulassung und Einführung der E-Tretroller im Juni 2019 war und ist die Hoffnung verbunden, dass sie als ein Baustein multimodaler Mobilität einen Beitrag zur angestrebten Verkehrswende leisten, insbesondere dann, wenn Pkw-Fahrten substituiert werden. Als Potenzial werden die vielen kurzen Pkw-Fahrten identifiziert. In Deutschland werden mit dem Pkw täglich fast 30 Mio. Fahrten unter 2 km zurückgelegt. Weitere rund 30 Mio. Pkw-Fahrten sind unter 5 km lang. Tatsächlich haben E-Tretroller-Verleihsysteme viele Städte in kurzer Zeit erobert.

Während zunächst Großstädte mit mindestens 100.000 Einwohner*innen mit den Verleihsystemen konfrontiert waren, weiteten die Firmen ihr Angebot auf immer mehr kleinere Städte aus. Doch auch drei Jahre nach dem Erlass der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) stehen viele Kommunen vor der großen Herausforderung, wie sich dieses neue Verkehrsmittel in die bestehende Infrastruktur integrieren und regulieren lässt. Offene Fragen im Zusammenhang mit den Kleinstfahrzeugen gibt es viele:

Hervorzuheben sind insbesondere Fragen zu den

  • verkehrlichen Wirkungen der neuen Angebote,
  • möglichen Konflikten mit den aktiven Modi zu Fußverkehr und Radfahren,
  • für Kommunen geeigneten Instrumenten zur Regulierung der neuen Angebote.

Das über den Nationalen Radverkehrsplan (NRVP) vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geförderte Forschungsprojekt „Mikromobilität auf Geh- und Radwegen – Nutzungskonflikte und verkehrliche Wirkungen“ ist diesen Fragen nachgegangen. Das Projekt wurde vom Deutschen Institut für Urbanistik und zwei Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), dem Institut für Verkehrsforschung sowie dem Institut für Verkehrssystemtechnik, bearbeitet.

Dazu wurden Expert*innen in ausgewählten deutschen und europäischen Städten interviewt, Tretroller-Nutzende und Nicht-Nutzende befragt, Unfall- und Nutzungsdaten analysiert sowie Videos im Straßenraum aufgezeichnet und ausgewertet. Damit wurden verschiedene Methoden kombiniert und die Ergebnisse in drei regionalen Workshops mit den unterschiedlichen Stakeholdern (Kommunen, -Anbieter, Wissenschaft) reflektiert. Besonders die Regulierungsinstrumente der Kommunen betreffend ist die Situation durch verschiedene Gerichtsurteile weiter im Fluss. Die formulierten Städtesteckbriefe sowie die Handlungsempfehlungen sind vor dem Hintergrund dieser Dynamik zu bewerten.

Die Veröffentlichung fasst die wesentlichen Ergebnisse des Projektes zusammen und zeigt Handlungsmöglichkeiten für eine Regulierung von E-Tretroller-Verleihsystemen auf.

Eine kurze Übersicht zeigt die wichtigsten Erkenntnisse:

Verkehrliche Wirkungen von E-Tretrollern werden unterschätzt
Die verkehrlichen Wirkungen von E-Tretrollern sind nach den Ergebnissen der durchgeführten Erhebungen besser als ihr Ruf, unterscheiden sich aber je nachdem, ob es sich bei den Fahrzeugen um Sharing-E-Roller oder um private E-Tretroller handelt. Bei Sharing-E-Tretrollern hat die Kombination mit dem ÖPNV einen hohen Stellenwert. Ein Viertel aller Fahrten werden mit dem ÖPNV kombiniert. Bei Fahrten mit privaten E-Tretrollern ist diese Kombination deutlich weniger beliebt (15 % aller Fahrten). Anderseits werden mit privaten E-Tretrollern mehr Pkw-Wege ersetzt. Hier ersetzt etwa ein Drittel (34 %) der berichteten Fahrten eine Autofahrt. Bei Sharing-E-Tretrollern macht dies 11 % der Fahrten aus. E-Tretroller haben demnach das Potenzial, ein Baustein in städtischen Verkehrssystemen als auch im multimodalen Verkehrsverhalten zu sein.

Konfliktpotenzial im System der aktiven Mobilität ist hoch
Auch wenn Alleinunfälle verbreitet sind, hat der Großteil der Befragten bereits Konflikte mit E-Tretrollern erlebt. Davon sind zu Fuß Gehende (und hier besonders eingeschränkt Sehende) stärker betroffen als Radfahrende. Dabei werden insgesamt mehr Konflikte durch parkende als durch fahrende E-Tretroller hervorgerufen. Das im Straßenraum gemessene Interaktionsverhalten unterscheidet sich zwischen E-Tretrollern und Fahrrädern jedoch kaum. Herausforderungen liegen entsprechend insbesondere bei der Einhaltung von Regeln und bei fehlenden Parkflächen. Das wird auch in den Wünschen zum Umgang mit E-Tretrollern in Städten deutlich – sowohl der Nutzenden von E-Tretrollern als auch der Nicht-Nutzenden.

An die Adresse der Kommunen: aktiv steuern statt reagieren
Angesichts der zunehmenden Flächenkonkurrenzen in vielen Innenstädten ist „Nichts tun“ keine empfehlenswerte Strategie. Im Gegenteil: Kommunen sind aufgefordert, den Platz im Straßenraum für unterschiedliche Verkehrsmittel gerechter aufzuteilen. Dazu sollten Sharing-Angebote – Elektrokleinstfahrzeuge wie auch Car- und Bikesharing – strategisch als ein Element im multimodalen Mix des städtischen Verkehrssystems integriert werden. Dazu gilt es, die neuen Verkehrsmittel in verkehrspolitische Strategien zu integrieren und zu definieren, zu welchen verkehrspolitischen Zielen sie einen Beitrag leisten können. Der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur und definierte Abstellflächen für E-Tretroller helfen, ein verträgliches Miteinander der verschiedenen Verkehrsmittel zu fördern und die ordnungswidrige Nutzung des Gehweges zu verhindern.

Verbindliche Abstellflächen ausweisen
Ungeordnet und ordnungswidrig abgestellte Fahrzeuge gefährden nicht nur andere Verkehrsteilnehmende, der Konflikt schränkt die Akzeptanz für E-Tretroller-Verleihsysteme ein. Paris macht mit einem regelmäßigen System fest installierter Abstellzonen im öffentlichen Straßenraum gute Erfahrungen. Diesem Beispiel folgen inzwischen immer mehr Kommunen (München, Düsseldorf, Nürnberg), indem sie das Anmieten und Abstellen der Fahrzeuge nur noch auf definierten Flächen zulassen und die Gebiete um diese Stellflächen als Parkverbotszonen definieren. Werden die Stellflächen an Kreuzungen platziert, helfen sie, die Sichtbeziehungen und damit die Verkehrssicherheit insgesamt zu verbessern. Um jedoch den Charakter der „ersten und letzten Meile“ nicht zu torpedieren, sind kurze Entfernungen zu diesen Flächen einzuplanen. Ob sich diese Maßnahmen bewähren, muss die Praxis zeigen. Erwartet wird, dass die Gehwege freigehalten werden können und sich die Akzeptanz des Verkehrsmittels deutlich erhöht.

Rechtssicherheit schaffen und kommunales Handeln erleichtern
Die bisherige Praxis, über freiwillige Selbstverpflichtungsvereinbarungen insbesondere das Abstellen der E-Tretroller zu regulieren, hat sich in den Großstädten nicht bewährt. Viele Kommunen gehen inzwischen deshalb dazu über, die Verleihsysteme als Sondernutzung einzuordnen, um damit näher am Rechtsrahmen steuern zu können. Die Rechtslage hierzu ist in den einzelnen Bundesländern noch uneinheitlich. Mit dem Urteil des OVG NRW wird das Anbieten von stationsungebundenen E-Tretroller-Mietfahrzeugen im öffentlichen Straßenraum als gewerbliche Nutzung gewertet und bedarf einer Sondernutzungserlaubnis. Andere Verwaltungsgerichte ordnen Free-Floating-Sharing-Systeme dem straßenrechtlichen Gemeingebrauch zu, so beispielsweise der Beschluss vom OVG Hamburg von 2009 in - Bezug auf Free-Floating-Bikesharing und aktuell der des VG Berlin vom 01.08.2022 in Bezug auf Free-Floating-Carsharing. Inwieweit die Beschlüsse Auswirkungen auf die Free-Floating-Flotten der E-Tretroller-Anbieter haben, kann derzeit nicht beurteilt werden. Es verbleibt allerdings in den Kommunen eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Eine höchstrichterliche Entscheidung beim Bundesverwaltungsgericht würde hier mehr Planungssicherheit schaffen.

Sondernutzung mit Auswahlverfahren koppeln
Unabhängig von der unklaren Rechtslage bieten erlaubnispflichtige Sondernutzungen Kommunen deutlich mehr Durchgriffsmöglichkeiten als die freiwilligen Selbstverpflichtungen. Noch mehr Gestaltungsspielraum erhalten Kommunen, wenn sie die Sondernutzungserlaubnisse mit Auswahlverfahren koppeln. Im Rahmen eines Auswahlverfahrens kann eine Kommune neben den straßenrechtlichen Belangen die Zahl der Fahrzeuge und Anbieter im Stadtgebiet limitieren, ökologische Auswahlkriterien definieren oder Sozialstandards berücksichtigen – und nur solchen Anbietern eine Sondernutzungserlaubnis erteilen, die im Einklang mit städtischen Mobilitäts- oder Klimazielen operieren.

Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?

Das Projekt hilft durch Wissensgenerierung zielgerichtet insbesondere Städten, die Rahmenbedingungen für den Rad- und Fußverkehr zeitgemäß zu verbessern und damit die Potenziale für mehr Rad- und Fußverkehr zu nutzen. Dabei tangiert das Projekt mehrere Handlungsfelder des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP). Mit dem neu generierten Wissen zu Wechselwirkungen zwischen aktiver Mobilität und elektrisch unterstützter Mikromobilität soll die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln verbessert werden. Weiter trägt das Projekt zur Stärkung der Handlungsfelder Radverkehrsplanung und -konzeption (Stichwort Radverkehrsnetze) sowie Infrastruktur bei. Dabei sind mögliche Verschiebungen bei Schwerpunktsetzungen in der kommunalen Planung unter sich verändernden Rahmenbedingungen, wie das Aufkommen eines neuen Verkehrsmittels, der Hauptansatzpunkt für die im Projekt erarbeiteten Empfehlungen. Hierfür werden Entscheidungsgrundlagen und Instrumente zur Verfügung gestellt. Insgesamt ist das Projekt im Förderschwerpunkt NRVP 2020 zur Schnittstelle zum Fußverkehr zu verorten. Diese Schnittstelle und die Analyse von Gefahren bzw. Konflikten sowie Ansätzen zur verträglichen Gestaltung werden dabei auf Grund der aktuellen Entwicklung um die elektrische Mikromobilität als neuen Modus im Seitenraum der Straßen ergänzt.

Finanzierung

Finanzierung

Bundesmittel, Sonstige

Gesamtvolumen

681.698 Euro

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2020 gefördert.

Evaluation

Ja. Eine Prozessevaluation durch einen wissenschaftlichen Beirat erfolgte mit Vertreter*innen
- des Deutschen Städtetags (DST),
- des Städte- und Gemeindebundes (DStGB),
- des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR),
- der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt),
- der Unfallforschung der Versicherer (UDV),
- der Technischen Universität Dresdens (TU Dresden),
und des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs e. V. (ADFC)

Die Diskussion und Reflexion von Zielen und Methoden des Vorhabens ist zu Projektbeginn im Beirat und Begleitung des Projektes durch den Beirat zum Zwecke des Monitorings und der wissenschaftlichen Beratung über die Laufzeit ist erfolgt (Regelmäßiges Unterrichten des Gremiums über erzielte Fortschritte sowie das geplante weitere Vorgehen im Projekt).

Projektträger & Beteiligte

Projektdurchführende Institutionen

Unternehmen, Universität, Verband, Verein, Private

Projektleitung

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) – Institut für Verkehrsforschung

Projektbeteiligte

  • Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – Institut für Verkehrssystemtechnik e.V. (DLR)
  • Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu)
  • Institut für Verkehrsforschung (VF)
  • Institut für Verkehrssystemtechnik (TS)

Laufzeit

Dauermaßnahme

Nein

Öffentlichkeitsarbeit & Dokumentation

Ansprechpartner auf Projektebene

Michael Hardingshaus

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – Institut für Verkehrsforschung

Rudower Chaussee 7

12489 Berlin

030 670557970

Erscheinungsdatum: 19.11.2020

Autor: Uta Bauer, Martina Hertel, Victoria Reichow, Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu), Forschungsbereich Mobilität
Dr. Michael Hardinghaus, Dr. Rebekka Oostendorp, Deutsches Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Institut für Verkehrsforschung
Claudia Leschik, Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V., Institut für Verkehrssystemtechnik