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Im Interview: Dr. Tom Assmann, Vorsitzender des Radlogistik Verband Deutschland e.V.

Datum 26.9.2022

Themenmonat „Fahrräder und Lastenräder im Wirtschaftsverkehr“

Ein dreirädriges Lastenrad mit einer großen weißen Transportbox auf der Hinterachse fährt entlang einer belebten Straße. Auf der weißen Fläche der Transportbox sind Logo und Schriftzug des Radlogistik-Verbands Deutschland zu sehen. Key Visual Radlogistik Verband Deutschland e. V.
Der Radlogistik Verband Deutschland richtet die Nationale Radlogistik-Konferenz aus.


Das Mobilitätsforum Bund hat am 21.09.2022 ein Netzwerkfrühstück im Rahmen der Nationalen Radlogistik-Konferenz veranstaltet. Vor Ort war Dr. Tom Assmann. Er ist ist Forschungsgruppenleiter am Institut für Logistik und Materialflusstechnik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Der studierte Wirtschaftsingenieur hat über die Integration von Logistikplanung und Stadtplanung promoviert und wurde mit dem Forschungspreis der IHK Magdeburg ausgezeichnet. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Radlogistik Verbands Deutschland e.V. und stand uns für ein kurzes Interview zur Verfügung.


  1. Herr Dr. Assmann, Sie haben jüngst eine Definition für den Begriff „Radlogistik“ aufgestellt. Können Sie uns die Definition zu „Radlogistik“ kurz erläutern? Wieso muss dieser Begriff überhaupt definiert werden?

    Der Term Radlogistik definiert kurz zusammengefasst alle Transporte von Gütern, die mit Fahrrädern, Lastenrädern oder Lastenanhängern durchgeführt werden. Dies passiert vorwiegend im urbanen Raum. Die Radlogistik umfasst zudem das Ökosystem von Fahrzeugherstellern, Logistikern, Softwareanbietern, Servicepartner u.a., die dafür notwendig sind. Radlogistik hat durch die besondere Fahrzeugkategorie mit deutlich geringeren Energie- und Platzverbrauch der Fahrzeuge ein sehr hohes Potenzial, die CO2-Emissionen im Verkehr zu mindern, Verkehrsbelastung zu reduzieren und somit zu sicheren, attraktiven und nachhaltigen Stadträumen beizutragen.

    Radlogistik wird deswegen die Zukunft der Logistik in der Stadt prägen. Damit der technische, politische und gesellschaftliche Prozess darum gestaltet werden kann, braucht es in den Diskussionen ein eindeutiges Verständnis wovon man spricht.

  2. „Radlogistik ist gekommen, um zu bleiben“ – Der NRVP 3.0. sieht im Jahr 2030 den Zielzustand: „Kurier-, Express- sowie Paketdienste (KEP) nutzen verstärkt Lastenräder. Logistikunternehmen binden diese gezielt in die Lieferketten ein.“ – Welche Vorteile erkennen Sie für Unternehmen, wenn diese bei Wirtschaftsverkehren vermehrt auf Lastenräder setzen?

    Die Lastenrad-Branche bietet aktuell das Fahrzeug der Zeit an. Es lässt sich einfacher wegparken, fährt am Stau vorbei, ist dadurch schneller in der Stadt und braucht nur 10 Prozent der Energie eines E-Vans. Damit sparen Unternehmen massiv Betriebskosten ein und senken ihren CO2-Fußabdruck wirklich. Was ich auch vermehrt höre, ist, dass besonders junge Arbeitskräfte Wert darauf legen, dass ihr Arbeitgeber nachhaltige Fahrzeuge anbietet.

    Nachfrage: Gilt das auch für Kommunen?

    Der Vorteil für Kommunen ist enorm. Lastenräder ersetzten fast 1:1 Vans oder PKWs. Sie sind halb so lang und halb so breit wie diese Fahrzeuge. Damit reduzieren sie massiv den Platzbedarf und schaffen mehr Spielräume in der Verteilung des öffentlichen Raums. Darüber hinaus hat jede Kommune die Anforderung, aktiven Klimaschutz zu betreiben. Lastenräder sind hier ein wirksames, einfaches Mittel. Dies kann einerseits durch die Förderung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gewerbe, andererseits aber auch durch die Einflottung in den eigenen Fuhrpark umgesetzt werden.

  3. „Die Radlogistik ist gekommen, um zu wachsen“ – In welchen Bereichen sehen Sie die größten Wachstumschancen?

    Das Wachstumspotenzial ist in den meisten Sektoren des Wirtschaftsverkehrs enorm. Auch wenn Lieferdienste oder die Paketzustellung medial mit Lastenrädern präsent sind, geht auf der Straße noch deutlich mehr. 30 Prozent Radlogistik und mehr sind möglich. Dafür braucht es aber deutlich mehr Mikro-Hubs und die konsequente Förderung des Radverkehrs.

    Als Verband sehen wir noch große Wachstumschancen besonders in den Bereichen Gewerbe, Handwerk, Pflegedienste und ähnliche. Letztendlich überall dort, wo häufig kürzere Wege gefahren und kleine Sendungen transportiert oder Gegenstände wie Werkzeug mitgenommen werden müssen.

    Nachfrage: Für welche Branchen bzw. Waren lohnt sich der Einsatz bzw. das Umsatteln auf Lastenräder besonders? Haben Sie Beispiele, die innerhalb der Branche federführend sind?

    Für alle in den zuvor genannten Bereichen. Lastenräder können in fast jedem Unternehmen dazu beitragen, die Betriebskosten des Fuhrparks oder die Logistikkosten zu senken.

  4. Ist die Optimierung von Rahmenbedingungen durch Kommunen und Unternehmen erforderlich, damit Radlogistik ihr volles Potenzial ausnutzen kann? Was sind aus Ihrer Sicht kurzfristig und was mittelfristig Meilensteine für den Einsatz von Lastenrädern in der Breite?

    Für mehr Radlogistik in der Breite ist es besonders erforderlich, dass Kommunen deutlich mehr Spielraum bekommen, das Verkehrssystem nachhaltig zu gestalten und diese dann auch nutzen. Es liegt auch an den Kommunen, das Straßennetz so zu gestalten, dass man mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln schneller und komfortabler unterwegs ist als mit dem Kraftfahrzeug. Dazu gehören auch Konzepte wie autoarme Innenstädte, Superblocks und Verkehrsberuhigung.

  5. Liegen Erfahrungswerte vor, mit welchem Investitionsvolumen Unternehmen rechnen müssen, wenn sie teils oder sogar vollständig auf Radlogistik umstellen wollen? Und, liegen Ihnen Zahlen vor, wie hoch potenzielle Einsparungen von Kosten über bspw. fünf Jahre ausfallen?

    Ein Lastenrad ist in der Anschaffung deutlich günstiger als ein Van oder ein PKW. Die Betriebskosten sind auch niedriger. Zudem gibt es zunehmend mehr Möglichkeiten des Leasings. Also die Investitionskosten sind niedriger als die Erneuerung der Flotte mit konventionellen Fahrzeugen, bzw. tendieren beim Leasing gegen null. Wie hoch die Einsparungen konkret sind, hängt von dem jeweiligen Unternehmen und ihrem Fahrzeugeinsatz ab. Was wir aber aktuell auch sagen können, unsere Hersteller an Lastenrädern sind aktuell in der Regel besser lieferfähig als Automobilisten.

Herr Dr. Assmann, vielen Dank für das Interview.

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