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Geschützte Kreuzungen nach niederländischem Vorbild

Kontroverse

Datum 25.1.2023

Die Meinungen zur sogenannten „Geschützten Kreuzung“ nach niederländischem Vorbild gehen in Deutschland auseinander. Die einen sehen darin eine Möglichkeit, Knotenpunkte für Radfahrende sicherer und attraktiver zu machen. Die anderen halten die abgesetzte Radverkehrsführung für weniger sicher als fahrbahnnahe Führungen. Der folgende Beitrag erläutert, was unter geschützten Kreuzungen zu verstehen ist, und stellt die Argumente der beiden Seiten dar.

Was ist eine geschützte Kreuzung?

Die sogenannte geschützte Kreuzung nach niederländischem Vorbild führt den Radverkehr räumlich vom motorisierten Individualverkehr und Kfz-Verkehr getrennt. Zudem können sich Radfahrende an den Zufahrten mindestens fünf Meter vor der Fahrbahn aufstellen.

Laut Victoria Reichow vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) zeichnet sich das Design durch die folgenden Elemente aus:

  • Schutzinseln (linsenförmige Einbauten als baulicher Schutz für Radfahrende bis kurz vor der Fahrbahnquerung),
  • Aufstellflächen für Radfahrende (Wartenischen), in der sich Radfahrende bei Rot aufstellen können (entstehen automatisch durch Schutzinseln),
  • Abgesetzte Furten (von bis zu 5 m) bzw. Verschwenkungen vor den Fahrbahnüberführungen und vorgezogene Haltlinien,
  • fahrradfreundliche Signalisierung,
  • Befahrung verbreitet auch im Zweirichtungsverkehr möglich [...].

Pro

Dieses Video veranschaulicht das Konzept hinter der geschützten Kreuzung aus einer befürwortenden Perspektive (das Video ist auch in deutscher Fassung verfügbar).

Befürworter*innen der geschützten Kreuzung, wie zum Beispiel der ADFC, unterstreichen die folgenden potenziellen Vorteile:

  • Intuitiv verständliche, selbsterklärende, einladende und fehlerverzeihende Straßengestaltung
  • Höheres subjektives Sicherheitsempfinden der Radfahrenden
  • Verbesserter Sichtkontakt zwischen Kfz- und Radverkehr
  • Weniger Konflikte zwischen großen abbiegenden Fahrzeugen und Wartenden durch Schutzinseln und räumliche Trennung
  • Geringere Abbiegegeschwindigkeiten durch enge Abbiegeradien
  • Kürzere Strecke zum Überqueren der Kreuzung für Radfahrende
  • Großer räumlicher Vorsprung der Radfahrenden vor rechtsabbiegenden Kfz
  • Eine zusätzliche Aufpflasterung, also eine baulich erhöhte Radverkehrsführung, zwingt Autofahrende, ihre Geschwindigkeit anzupassen, und erhöht die Aufmerksamkeit
Illustration einer Kreuzung aus der Vogelperspektive. Die Merkmale des Kreuzungsdesigns sind durch kurze Texte erläutert. Geschützte Kreuzung nach niederländischem Vorbild
Geschützte Kreuzung nach niederländischem Vorbild, Grafik aus dem Infrastrukturatlas 2020 der Heinrich-Böll-Stiftung

Der ADFC betont, dass es subjektiv sei, was Menschen als einladend empfinden. Untersuchungen wie der Fahrrad-Monitor oder der ADFC-Fahrradklima-Test zeigten, dass die Radfahrenden getrennt vom Autoverkehr fahren wollen und dies als sicherer empfinden. „Wenn Städte und Kommunen mehr Menschen zum Radfahren [...] bewegen wollen, ist es entscheidend, dass die Infrastruktur von den Menschen auch als sicher wahrgenommen wird“, meint der ADFC.

Contra

Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) stellt in einem Ad-hoc-Papier vom Juni 2021 die folgenden potenziellen Nachteile dieses Kreuzungsdesigns fest:

  • Konflikte mit querendem Fuß- und Radverkehr
  • Rückstau bei hohen Radverkehrsstärken, der die querenden zu Fuß Gehenden und Radfahrenden behindert
  • Missverständnisse bei abbiegenden Kfz-Führenden, wenn der Radverkehr vor dem Konfliktbereich ein eigenes Signal mit längerer Grünzeit als das für den parallelen Fußverkehr erhält
  • Häufig fehlender Platz für die benötigte Breite des Seitenraums

Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) kommt nach eigenen Fahrversuchen zu dem Schluss, dass die geschützten Kreuzungen die Sicht für abbiegende Lkw verschlechterten. Zudem funktionierten die vom Bund geförderten Abbiegeassistenten für Lkw "bei diesem Kreuzungsdesign nicht mehr zuverlässig“.

Der ADAC hält eine fahrbahnnahe Führung des Radverkehrs an Kreuzungen für die sicherste Variante, weil damit für eine gute Sichtbeziehung gesorgt sei.

Aktuelle Forschungsprojekte

In dem vom Bund geförderten Verbundprojekt SQUADA untersuchen die Wissenschaftsstadt Darmstadt und die Hochschule Darmstadt das Design der geschützten Kreuzung in Verkehrsversuchen und evaluieren das Design aus Sicht aller Verkehrsteilnehmenden. Mit abschließenden Ergebnissen ist nicht vor 2024 zu rechnen.

Auch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) arbeitet daran, zu den genannten Fragestellungen Grundlagenwissen bereitzustellen.

Schlussfolgerungen

Die Meinungsverschiedenheiten zur geschützten Kreuzung bestehen weiter. Die Beteiligten betonen vielfach die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen. So zählt die FGSV mehrere „offene Fragen“ auf und sieht hierzu „dringenden Forschungsbedarf“.

Entsprechend kommt Reichow zu dem Fazit, dass es das „optimal und universell anwendbare Kreuzungsdesign zur Vorbeugung von Konflikten und Unfällen mit Radfahrenden […] (derzeit) nicht“ gebe.

Empfehlungen

Die Broschüre „Einladende Radverkehrsnetze“, die Begleitbroschüre zum Sonderprogramm „Stadt und Land“ des Bundes, empfiehlt eine „bauliche Gestaltung der Verkehrsführung für die einzelnen Verkehrsarten“. Beispielsweise solle es dem geradeaus fahrenden Radverkehr ermöglicht werden, „sich so weit wie möglich vor dem wartenden Kfz-Verkehr in einem baulich geschützten und gut sichtbaren Bereich aufzustellen“. Wir haben die Empfehlungen dieser Broschüre in einem eigenen Beitrag zusammengefasst.