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Im Interview: Silke Leuschner, Leiterin des Stadtentwicklungsamtes Eberswalde

Interview

Datum 31.3.2023

Silke Leuschner wirkt als kommunale Vertreterin aktiv an der Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur mit und gibt uns im Interview Einblicke in Projekte und Herausforderungen der Stadt Eberswalde am Beispiel vom Ausbau von Fahrradabstellmöglichkeiten.

Fahrradparkhaus vorwiegend aus Holz, mit zwei Etagen und großem schrägen Dach, das über die Holzkonstruktion herausragt. Links ist im Hintergrund der Bahnhof von Eberswalde zu erkennen, auf dem Kopfsteinpflaster stehen Autos. Im Vordergrund eine Straße. Fahrradparkhaus in Eberswalde
Beispiel: Fahrradparkhaus in Eberswalde
  1. Wie Bundesminister Volker Wissing kürzlich betonte, fehlen in Deutschland alleine an Bahnhöfen bis zu 1,5 Millionen Fahrradabstellplätze. Was sind aus Ihrer Sicht wichtige kommunale Maßnahmen, um dieser Problematik zu begegnen? Sehen Sie kurz- und langfristige Maßnahmen?

    Für die Stadt Eberswalde stehen die Stärkung des Umweltverbundes bzw. die Aspekte einer nachhaltigen Verkehrsentwicklungsplanung ebenso wie die konzeptionelle und integrierte Betrachtungsweise im Fokus. Dabei gilt es stetig, die Bedarfe und vorherrschende Angebote für eine nachhaltige Mobilität mit den Absichten der Stadtentwicklung sowie den individuellen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Hierbei gilt es insbesondere die nachhaltige Erreichbarkeit der Bahnhöfe mit allen Verkehrsmittelarten zu gewährleisten.

    Die Realisierung von qualitativen und insbesondere sicheren Radabstellplätzen ist in diesem Zusammenhang ein essentieller Baustein für eine nachhaltige Mobilität, den es im Sinne der Verkehrswende gilt stetig weiter zu fördern. Eine "gewollte sowie zielorientierte" Zusammenarbeit mit den jeweiligen Akteur*innen vor Ort ist dabei entscheidend.

    Mit dem damaligen Bahnhofsumbau (2008) in Eberswalde wurden gemeinsam mit der Deutschen Bahn die ersten drei kleineren Radabstellanlagen realisiert. Die schnell gewachsenen Anforderungen, aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und der damit einhergehenden gestiegenen Pendlerzahlen, erforderten ein "Weiterdenken". Mit Stand 2022 kann die Stadt Eberswalde täglich 24.598 Pendler*innenbewegung vorweisen. Abzüglich der 7.986 Binnenpendler*innen ergibt sich bereits seit mehreren Jahren für die Stadt Eberswalde, im Gegensatz zum gesamten Landkreis Barnim, ein positiver Pendler*innensaldo von rund 2.000 (9.217 Einpendler*innen zu 7.395 Auspendler*innen). Hierbei treffen die rund 17.000 Pendler*innen (Ein- und Auspendler*innen) zum Großteil am Hauptbahnhof Eberswalde ein. Ein Teil davon (und im Rahmen der Verkehrswende künftig viel mehr) nutzen das Fahrrad zum oder vom Hauptbahnhof.

    In Folge dessen wurden sukzessive die Radabstellplätze im Bahnhofsumfeld erweitertet, wie beispielsweise die 180 Stellplätze unter der "Straßenbrücke". Die Basis bildeten städtische Konzepte und Untersuchungen, wie unter anderem das Radnutzungskonzept oder das Parkraumbewirtschaftungskonzept.

    Die Stadt Eberswalde wächst stetig, die Nähe zu Berlin lockt viele Pendler*innen in beide Richtungen und somit gewinnt der Hauptbahnhof als Mobilitätsdrehscheibe immer mehr an Bedeutung. Dies hatte in der Vergangenheit zur Folge, dass immer mehr Fahrräder wild abgestellt wurden. Um der gestiegenen Nachfrage nach sicheren Bike-and-Ride-Parkplätzen Rechnung zu tragen, hat sich die Stadt Eberswalde entschlossen, im Bahnhofsbereich ein Fahrradparkhaus zu errichten.

    Grundlage dieser Entscheidung war die zuvor in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie "Parken am Bahnhof", welcher wiederum eine Verkehrsplanerische Untersuchung „Mobilitätsdrehscheibe Bahnhof“ der Stadtverwaltung vorausging. Hierauf aufbauend erfolgten die Fördermittelakquise bzw. die finale Fördermittelantragstellung sowie die Ausschreibung und Vergabe der Planungs- und Bauleistungen (unterhalb des EU Schwellenwerts). Im Gegensatz hierzu bedurfte die Ausschreibung der Dienstleistungen bzw. Ausstattung aufgrund der zu erwartenden Kosten (oberhalb des Schwellenwertes) ein EU-weites Ausschreibungsverfahren.

    Man sieht das Fahrradparkhaus in Eberswalde eingebettet in seine Umgebung Fahrradparkhaus Eberswalde mit Umgebung
    Fahrradparkhaus Eberswalde

    Um dem steigenden Bedarf an Radabstellplätzen an Bahnhöfen kurzfristig gerecht zu werden, wären meines Erachtens der Austausch der teilweise immer noch vorhandenen "Felgenklemmer" oder bereits zeitgemäßen Anlehnbügel in sogenannte "Doppelparker" erforderlich. So könnten auf vorhandenem Raum kurzerhand die doppelte Anzahl an Stellplätzen für Räder geschaffen werden. Langfristig gesehen, kann durch den Bau von Fahrradparkhäusern oder größeren Abstellanlagen, unter anderem mit Berücksichtigung von Fahrradboxen zum sicheren Abstellen, dem Bedarf vor Ort begegnet werden und somit ein wichtiger Schritt zur Verkehrswende gelingen. Die Basis ist die Aufrechterhaltung einer schnellen, attraktiven ("unbürokratischen") Förderung derartiger Radabstellanlagen. Des Weiteren muss sich die Deutsche Bahn gleichermaßen um die Belange des Radverkehrs kümmern bzw. integriert denken! Es darf nicht sein, dass neue Haltepunkte oder die Umgestaltung von Bahnhöfen geplant werden, ohne die notwendige Betrachtung des Bahnhofumfeldes.

  2. Die Stadt Eberswalde hat 2022 ein neues Fahrradparkhaus am Bahnhof eröffnet. Wie wird das Angebot angenommen?

    Unser Fahrradparkhaus wird seit dem Zeitpunkt der Eröffnung (6.7.2022) bzw. bereits mit Freigabe des Untergeschosses (November 2021) sehr gut angenommen. Die Anzahl der Nutzenden steigt seit diesem Zeitpunkt tendenziell an. Hierbei wiesen die 56 Fahrradboxen bereits sehr früh eine 100% Auslastung auf. Die Auslastung der übrigen Stellplätze beläuft sich zum aktuellen Zeitpunkt auf rund 60 Prozent (in Summe insgesamt 604 Stellplätze, davon 232 Stellplätze komplett barrierefrei, als „Einzel- und Doppelparker“ und Stellplätzen speziell für Lastenräder sowie im Obergeschoss 372 Stellplätze als „Einzel- und Doppelparker“).

  3. Wie war der Weg von der Idee zum Fahrradparkhaus bis hin zu dessen Fertigstellung. Welche Unterstützung gab es für das Projekt und wo lagen die Herausforderungen?

    Basis dieser Entscheidung war die zuvor in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie "Parken am Bahnhof", welcher wiederum eine Verkehrsplanerische Untersuchung „Mobilitätsdrehscheibe Bahnhof“ der Stadtverwaltung vorausging.

    Positiv und unterstützend waren insbesondere:
    - der Einsatz von EFRE-Fördermitteln mit 80 prozentiger Förderquote und zeitnahem Zuwendungsbescheid
    - ein individuelles, nachhaltiges Planungskonzept
    - eine schnelle Baugenehmigung
    - sowie eine sehr gute öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung (Richtfest, Teileröffnung, Stadtradelauswertung, feierliche Einweihung, Ministerbesuche, Auszeichnungen, wie deutscher Verkehrswendepreis und Deutscher Ingenieurbaupreis).

    Man sieht das Fahrradparkhaus in Eberswalde mit Details aus der Nähe Fahrradparkhaus Eberswalde aus der Nähe
    Fahrradparkhaus in Eberswalde
  4. Stehen Sie mit anderen Kommunen über geplante Projekte im Austausch und nutzen Sie Best-Practice-Beispiele für die Planung Ihrer Projekte?

    Die Stadt Eberswalde ist eines der 13 Gründungsmitglieder der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Kommunen Brandenburg - AGFK BB (19.Mai 2015), welche nunmehr bereits 34 Mitglieder umfasst. Neben dem Erfahrungsaustausch und der Unterstützung verschiedener Aspekte der Radverkehrsförderung, werden durch die AGFK BB auch verschiedene Weiterbildungsangebote rund um das Thema Rad aufgelegt. Beispielsweise ein Workshop zum Thema Fahrradparken, welcher von der AGFK BB und der Fahrradakademie (2018) initiiert wurde, oder Seminarreihen zum Thema „Gestaltung des Radverkehrs auf kommunaler Ebene“ (u. a. Netzgestaltung, Fahrradparken)“ durch MIL, AGFK BB und ADFC (2021 & 2022).

    Neben Eberswalde, gehören Bernau, Potsdam und Oranienburg zu den Städten in Brandenburg mit einem Fahrradparkhaus. Natürlich gab es auch im Vorfeld zum Bau unseres Fahrradparkhauses regen Austausch mit diesen Kommunen. Von Best-Practice-Beispielen lernen bzw. entsprechende Erfahrungen für die eigenen Vorhaben mitzunehmen, ist immer hilfreich. In diesem Zusammenhang werden wir gerne auch weiterhin anderen Interessierten unsere Erfahrungen oder auch Empfehlungen mitteilen!

  5. Der Bund unterstützt die Weiterentwicklung des Radverkehrs durch verschiedene Förder- und Finanzhilfeprogramme. Nehmen Sie diese in Anspruch und welche Wünsche haben Sie an zukünftige Programme zum Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur?

    Für die Umsetzung von Projekten und Vorhaben, auch unabhängig von der Radverkehrsförderung, sind attraktive Förder- und Finanzierungsprogramme immer von großer Bedeutung. Für das Fahrradparkhaus haben wir von der Richtlinie von Stadt und Umland (NESUR) sowie vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) profitieren können. Bei anderen Projekten, wie beispielsweise dem "RadBrückenSchlag", bauen wir auf die Unterstützung vom Bund (Investive Modellvorhaben für den Radverkehr) und des Landkreises Barnim.

    Anhand dieser beiden Beispiele wird bereits deutlich, dass die Schwierigkeit insbesondere darin besteht, einerseits das richtige Fördermittelprogramm für das jeweilige Vorhaben/Projekt ausfindig zu machen und andererseits die eigene Haushaltsplanung mit den Vorgaben des Fördermittelgebers in Einklang zu bringen. Die oft aufwendige Fördermittelantragsstellung ist dabei noch die geringste Hürde. Viel schwieriger ist es, die unterschiedlichen Maßnahmen und Anforderungen einer ganzheitlichen Radverkehrsförderung (Konzeption, Planung, Infrastruktur, Instandsetzung, usw.) in so wenig wie nötigen Fördermittelanträgen zu integrieren. Das bedeutet, für die Umsetzung unterschiedlicher Maßnahmen (abhängig von der jeweiligen Art und Weise) müssen wiederum unterschiedliche Fördermittelanträge gestellt werden.

  6. Die Umsetzung von Vorhaben der Radverkehrsinfrastruktur (insbesondere Fahrradabstellanlagen) erfordert, verschiedene Akteur*innen zusammenzubringen. Wie ist die Umsetzung von Radverkehrsvorhaben bei Ihnen in der Kommunalverwaltung strukturell verankert?

    Mit dem Fahrrad zum Bahnhof Buxtehude mit S-Bahnzug Baureihe ET 474 nach Hamburg (S-Bahn Hamburg)


    In der Stadt Eberswalde erfolgt die konzeptionelle Betrachtung, Untersuchung und Erarbeitung im Stadtentwicklungsamt. Die Ausführung der jeweiligen Projekte und Maßnahmen obliegt dann unserem Tiefbauamt. Hierbei ist eine enge Verzahnung der beiden Ämter bzw. der jeweiligen Bearbeiter entscheidend, um zielführend Projekte von der Idee auf dem Papier in die Realität umsetzen zu können. Somit besteht auch über die konzeptionellen Planungsstufen hinaus immer eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Tiefbauamt, in dem auch die untere Verkehrsbehörde der Stadt integriert ist, sowie dem Stadtentwicklungsamt. Flankierend dazu sind Bereiche des Liegenschaftsamtes und insbesondere des Bauhofes an der Projektumsetzung maßgebend entscheidend. Da alle Ämter dem Baudezernat zugehörig sind, könnte man sagen, dass Baudezernat ist für die Umsetzung derartiger Vorhaben verantwortlich.

  7. Gibt es Pläne der Stadt Eberswalde zum weiteren Ausbau von Fahrradabstellanlagen und falls ja, wie sehen diese aus?


    Mit dem Bau des Fahrradparkhauses haben wir uns bereits eine mögliche Erweiterungsoption offen gehalten. Durch einen Austausch der "Einzelparker" im Obergeschoss in "Doppelparker" könnte unkompliziert das Stellplatzangebot im Bedarfsfall auf über 1.000 aufgestockt werden. Einen weiteren Bedarf an Abstellmöglichkeiten für Fahrräder sehen wir insbesondere an der möglicherweise entstehenden Verkehrsstation "Haltepunkt Nordend" der Deutschen Bahn (aktuell in Planung). Hierbei ist es nach bisherigen Aussagen der Deutschen Bahn die Aufgabe der Kommune, eine entsprechende Umfeldgestaltung, insbesondere die Herstellung bzw. Berücksichtigung von Radabstellmöglichkeiten, zu gewährleisten. Ganzheitliche Radverkehrsförderung sieht anders aus, ist jedoch ein sehr einfacher Weg die Verantwortung in die Hände der Kommune zu geben. Des Weiteren werden wir den Bedarf an Radabstellanlagen im innerstädtischen Bereich im Auge haben und stetig anpassen bzw. erweitern.

Frau Leuschner, vielen Dank für das Interview!