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Mobilitätsbildung - Grundlage für die Nutzung des Fahrrads in Alltag und Freizeit

Themenfokus "Mobilitätsbildung"

Datum 6.6.2023

In den Monaten Juni und Juli beschäftigen wir uns mit dem Thema Mobilitätsbildung. Wir stellen Ihnen die Entwicklung in Deutschland anhand von Projekten, Best-Practice-Beispielen und einer THEMENKARTE vor und geben Impulse für zukünftige Projekte.

Eine umfassende Mobilitätsbildung, die nicht nur Verkehrsregeln vermittelt, sondern auch die Auswirkungen des eigenen Mobilitätsverhaltens aufzeigt, ist eine entscheidende Grundlage für die Nutzung des Fahrrads in Alltag und Freizeit. Hierfür bedarf es einer Vielzahl an Angeboten in allen Lebensphasen, beginnend von kleinauf in Kita und Schule (NRVP 3.0).

Hintergrund

Die Bewältigung des zunehmenden Mobilitätsbedarfs stellt eine große Herausforderung dar, für die es neben technischen Anpassungen insbesondere nachhaltige Veränderung unseres Mobilitätsverhaltens und einer zukunftsfähigen Mobilitätskultur bedarf. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Mobilitätsbildung. Anders als in der klassischen Verkehrserziehung steht hier nicht allein die Vermittlung von Verkehrsregeln und Kompetenzen zur Unfallvermeidung im Fokus, vielmehr sollen Lernende befähigt werden, selbstbestimmt Mobilitätsentscheidungen zu treffen und deren Folgen für sich und die Umwelt zu reflektieren. Eine umfassende Mobilitätsbildung fördert Rad- und Fußverkehr durch gezielte Angebote und verankert nachhaltige Mobilität frühzeitig im Sozialisationsprozess und Alltag von Kindern und Jugendlichen.

Foto zeigt ein umgekipptes Fahrrad auf einer Straße. Daneben liegt ein Fahrradhelm. Fahrradunfall
Fahrradunfall auf einer Straße.

Viele Kinder und Jugendliche erleben Mobilität maßgeblich von der Rückbank des elterlichen Autos aus. So zeigen die Zahlen der Verkehrserhebung „Mobilität in Deutschland“ von 2017, dass 53% der 0-6-jährigen bzw. 41% der 7-10-jährigen Kinder das Auto als Mitfahrer als Hauptverkehrsmittel nutzen (Quelle: Infas, DLR, IVT und infas 360 (2019), "Mobilität in Deutschland", im Auftrag des BMDV).
Dies verstärkt nicht nur den ohnehin zunehmenden Bewegungsmangel und sorgt für Gefahrensituationen vor den Bildungseinrichtungen beim Bringen der Kinder, sondern erschwert auch die Ausbildung von wichtigen Kompetenzen wie Selbstständigkeit und räumlicher Orientierung. Dass immer mehr Kinder Schwierigkeiten haben, die schulische Radfahrprüfung zu bestehen, ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich (vgl. TK).
Gleichzeitig sehen wir immer mehr, dass unsere Mobilität mit enormen sozialen und insbesondere ökologischen Kosten verbunden ist: Die Chancen auf Mobilität sind innerhalb der Gesellschaft ungleich verteilt, negative Folgen des Verkehrs, z.B. in Form von Lärm- und Schadstoffbelastungen an Hauptverkehrsstraßen, treffen verstärkt sozial schwache Bevölkerungsschichten. Der Klimawandel führt uns vor Augen, dass wir mit einer auf fossilen Ressourcen basierenden Mobilität die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen gefährden.

Ziele der Mobilitätsbildung

Konzepte und Schwerpunkte im Wandel

Von der Verkehrserziehung zur Mobilitätsbildung

Im Lauf der Zeit haben sich die Konzepte und die Schwerpunkte in der Vermittlung von Verkehrsregeln und Fähigkeiten gewandelt: Von Beginn an stand dabei die Verkehrserziehung mit dem Ziel der Unfallverhütung und der Vermittlung von Regeln im Vordergrund. Lange Zeit kam der Verkehrserziehung angesichts steigender Verkehrsdichte und –Unfallzahlen ausschließlich die Aufgabe zu, Kinder für die Bewältigung der Gefahren des modernen Straßenverkehrs zu schulen. Mit Reformbewegung und Rio-Deklaration fanden in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend auch umwelt- und gesundheitspolitische Ziele Einzug in die Verkehrserziehung, die nun oftmals als Mobilitätserziehung bezeichnet wurde. Der aktuelle Begriff der Mobilitätsbildung steht eng in Verbindung mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und legt einen Fokus auf das Hinterfragen der eigenen Mobilität vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Nachhaltigkeitsdimensionen. Ausführlich setzen sich Schwedes et al. (2021) mit der Genese der unterschiedlichen Konzepte auseinander.

Forschungsblog des Projektes MoBild „Mobilitätsbildung“

Diese Entwicklungen machen deutlich, dass eine reine Verkehrserziehung mit dem Ziel der Vermittlung klassischer Verkehrsregeln heutzutage zu kurz greift. Mobilitätsbildung geht daher über die Verkehrserziehung hinaus und befähigt Kinder dazu, aktiv am Straßenverkehr teilzunehmen und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen (vgl. Mobilikon).
Hierzu soll Mobilitätsbildung zum einen Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, um verschiedene Verkehrsmittel nutzen zu können und sicher am Verkehr teilnehmen zu können. Dies umfasst die gesamte Bandbreite an Mobilitätsoptionen, im Hinblick auf die Radverkehrsförderung ist hier insbesondere die aktive Mobilität und das Erlernen des Radfahrens angesprochen. Zum anderen sollen Kinder und Jugendliche befähigt werden, selbstbestimmt Mobilitätsentscheidungen zu treffen und die Auswirkungen des eigenen Handelns für sich und die Umwelt zu reflektieren
(Forschungsblog des Projekts „Mobilitätsbildung“).
Die Vorteile des Radfahrens liegen dabei auf der Hand: Die dem Fuß- und Radverkehr innewohnende Bewegung ist gut für die Gesundheit und stärkt die Ausbildung motorischer und koordinativer Fähigkeiten. Dies trägt dazu bei, Unfällen und Verletzungen vorzubeugen. Die bessere räumliche Orientierung durch ein selbstständiges Mobilitätsverhalten ermöglicht den Aufbau und die Pflege sozialer Kontakte im Kindes- und Jugendalter – ein wichtiger Beitrag zur Eigenständigkeit im Heranwachsen. Wer zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommt, ist außerdem wacher und kann sich besser konzentrieren (vgl. VCD).

Darüber hinaus prägt das Mobilitätsverhalten in Kindheit und Jugend die Mobilitätsmuster für das ganze Leben. Die Studie „RadAktiv“ der LMU München hat anhand einer repräsentativen Umfrage aufgezeigt, dass das Aufwachsen in fahrradfernen Familien eine zentrale Ursache für die spätere Nichtnutzung des Fahrrads ist (vgl. Leitfaden der LMU München (2022)). Eine umfassende Mobilitätsbildung mit Angeboten zum Erlernen des Radfahrens kann dagegen nachhaltige Mobilität frühzeitig im Sozialisationsprozess verankern und damit den Grundstein legen für eine langfristige Nutzung des Fahrrads.

Rahmenbedingungen und Beispiele gelungener Maßnahmen

Der Nationale Radverkehrsplan 3.0 unterstreicht die Bedeutung einer umfassenden Mobilitätsbildung für eine breite Fahrradnutzung in der Gesellschaft: „Fahrradkultur beginnt bei Kindern und Jugendlichen: Eine umfassende Mobilitätsbildung einschließlich Aufklärung zum gesundheitlichen Nutzen des Radfahrens sowie fahrradfreundliche und sicher gestaltete Schul- und Freizeitwege führen junge Menschen an ein regelmäßiges und verantwortungsvolles Radfahren heran. Das ist die Grundlage dafür, auch in den folgenden Lebensphasen das Fahrrad in den Lebensalltag zu integrieren.“ (BMDV, NRVP 3.0, 2021, S. 45ff.).

Gegenwärtig wird Mobilitätsverhalten und Radfahren außer dem Erlernen des Fahrradfahrens im Rahmen der schulischen Radfahrausbildung nur wenig an Schulen und im Unterricht thematisiert. Ziel einer erschöpfenden Mobilitätsbildung muss die Vermittlung des Wissens über alle Schulformen und Altersklassen hinweg sein. Die verschiedenen Facetten von Mobilität lassen sich in unterschiedlichen Unterrichtsfächern aufgreifen – von Gesundheits- und sozialen Aspekten über Ressourcenschutz bis zu virtueller Mobilität und Fragen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes. In Bezug auf die Verkehrssicherheit machen die steigenden Unfallzahlen von Kindern über 10 Jahren die Notwendigkeit von Angeboten auch nach der 4. Klasse deutlich. Als erstes Bundesland hat das Land Niedersachsen mit dem Curriculum Mobilität bereits 2002 ein fächerübergreifendes Bausteinkonzept zum Lernfeld Mobilität für alle Schulformen in Niedersachsen eingeführt. Den Schulen stehen damit theoretische Grundlagen, Anregungen und Praxismaterialien für die Unterrichtsgestaltung zur Verfügung.

Ein weiteres wichtiges Element hierfür ist das schulische Mobilitätsmanagement, das den Verkehr von und zur Schule sicher und nachhaltig gestalten soll. Bestandteile des schulischen Mobilitätsmanagements sind bspw. die Erstellung von Schulwegplänen oder die Umsetzung von Maßnahmen zur verkehrlichen Organisation im Schulumfeld und an der Schule. Das Fachzentrum Schulisches Mobilitätsmanagement des Landes Hessen kann hier als Vorbild und Vorreiter dienen: Mit einem breiten Angebot von konkreten Maßnahmen, Beratungsleistungen und Qualifizierungen steht es Schulen und Kommunen in Hessen zur Seite. Es betreibt einen Schülerradroutenplaner, organisiert den landesweiten Wettbewerb Schulradeln und gibt in einer Angebotsdatenbank einen Überblick über mögliche Aktivitäten an den Schulen (vgl. Projekt "Besser zur Schule").

Foto zeigt Spielzeugschilder aus Holz und ein Miniaturfahrrad aus Plastik. In der Mitte steht ein kleiner Holzaufsteller, auf dem das Verkehrszeichen "Fahrräder verboten" abgebildet ist. Verkehrsschilder
Nachgestellte Radverkehrsszene mit Spielzeug

Sichere Radwege auf dem Weg zur Schule sind eine zentrale Voraussetzung für die Gewinnung der Kinder und Jugendlichen für das Fahrrad. Die Radverkehrsinfrastruktur muss dafür unterschiedliche Nutzungsansprüche und insbesondere die Bedürfnisse der besonders schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmer berücksichtigen (vgl. BMDV, 2021). Der Erstellung und der Einsatz von Radschulwegplänen an den Schulen kommt daher eine wichtige Bedeutung zu. Webtools wie der Schülerradroutenplaner (Land Hessen) oder der Schulwegplaner Baden-Württemberg bieten hierbei eine wichtige Hilfestellung. Gleichzeitig müssen Bildungseinrichtungen fahrradfreundlich ausgestattet sein. Das umfasst neben einer Anbindung der Schulen ins Radwegenetz der Kommune auch die Ausstattung mit Fahrradabstellanlagen (ebd.).

Zu einer fahrradfreundlichen Schule kann aber auch die Etablierung von Arbeitsgemeinschaften und Fahrradkursen oder das Angebot von Schulfahrrädern für die Schülerinnen und Schüler stehen. Die „AktionfahrRad“ kürt jedes Jahr fahrradfreundliche Schulen, organisiert Lehrerfortbildungen und Radsportmeisterschaften für Kinder und Jugendliche.

Kampagnen

Attraktive Kampagnen und Angebote, die Kinder und Jugendliche zielgruppenorientiert ansprechen, können dazu beitragen, Anreize zur Fahrradnutzung in der Freizeit zu geben und den Spaß am Radfahren zu vermitteln.

  • Das im Rahmen der Kampagne „Stadtradeln“ stattfindende Schulradeln sucht in den teilnehmenden Bundesländern nach den fahrradaktivsten Schulen und motiviert dadurch Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte zur Nutzung des Fahrrads. Ein Kreativwettbewerb ergänzt das Schulradeln in einigen Bundesländern.
  • Wie man schon im Kita-Bereich Kinder an eine aktive Mobilität heranführen kann, zeigen die „Praxishilfe: Mobil in der Kita“ der Stadt Nürnberg oder das
  • VCD Kita Praxishandbuch - „50 Spiele für mobile Kinder“. Beide Handreichungen geben hilfreiche Hintergrundinformationen und praxisnahe Vorschläge, um Kinder im Kindergartenalter für aktive Mobilität und das Radfahren zu begeistern.

Autor: Manuel Hundt, Bundesamt für Logistik und Mobilität, Referat F4 - Radverkehr

Weitere Informationen:

Auf unserer aktuellen Themenkarte finden Sie eine Auswahl an Projektbeispielen zur Mobilitätsbildung in Deutschland.